Die Illusion vom gesunden Tomatenprodukt
Ketchup gehört zu den beliebtesten Würzsaucen überhaupt und genießt bei vielen Verbrauchern ein überraschend positives Image. Tomaten sind schließlich gesund, voller Vitamine und Lycopin – was kann da schon schiefgehen? Doch die Realität in der Flasche sieht oft ganz anders aus als das frische Gemüse suggeriert. Während die Werbung mit natürlichen Zutaten, Tomatenvielfalt und familienfreundlichen Szenarien punktet, verschweigt sie geschickt eine unbequeme Wahrheit: Viele dieser Produkte enthalten bedenklich hohe Zuckermengen, die dem Gesundheitsimage fundamental widersprechen.
Auf den ersten Blick wirken die Etiketten vertrauenerweckend. Saftige Tomaten zieren die Verpackung, manchmal ergänzt durch grüne Kräuter oder rustikale Holzoptik. Diese visuelle Gestaltung folgt einer bewährten Marketingstrategie: Die Assoziation mit Frische, Natur und Gemüse soll beim Verbraucher den Eindruck erwecken, hier ein weitgehend unverarbeitetes Naturprodukt zu kaufen. Formulierungen wie „aus sonnengereiften Tomaten“ oder „nach traditionellem Rezept“ verstärken diesen Effekt zusätzlich.
Die Produktkommunikation nutzt dabei gezielt die positive Wahrnehmung von Tomaten. Tatsächlich sind Tomaten reich an Antioxidantien und wertvollen Nährstoffen. Doch zwischen einer frischen Tomate und dem fertigen Würzmittel liegen Welten – nicht nur in der Verarbeitung, sondern vor allem in der Zusammensetzung.
Zucker als unterschätzter Bestandteil
Ein genauer Blick auf die Nährwerttabelle offenbart eine überraschende Realität: Untersuchungen von Verbraucherorganisationen zeigen, dass einige Produkte – insbesondere speziell für Kinder vermarktete Tomatensaucen – deutlich höhere Zuckerwerte aufweisen als erwartet. Die zuckerreichsten getesteten Produkte enthielten etwa 11 Gramm Zucker pro 100 Gramm, was mehr als einem Zehntel des Produktgewichts entspricht.
Bei einer üblichen Portion von etwa 20 Gramm nimmt man damit über 2 Gramm Zucker auf – und das bei einem Produkt, das viele Menschen eher als Gewürz denn als süße Zutat wahrnehmen. Besonders problematisch wird dies bei großzügigerer Dosierung oder mehrmaligem täglichen Konsum, wie es gerade bei Kindern häufig vorkommt. Zum Vergleich: Ein Teelöffel Haushaltszucker wiegt etwa 4 Gramm, sodass manche Ketchup-Portionen bereits die Hälfte davon liefern.
Die geschickte Verschleierung auf der Zutatenliste
Der Zucker wird nicht immer als solcher auf der Zutatenliste deklariert. Stattdessen tauchen Bezeichnungen wie Glukosesirup, Fruktose, Dextrose oder Fruchtsaftkonzentrat auf. Diese Begriffe klingen für viele Verbraucher technisch und weniger bedrohlich als das Wort „Zucker“. Doch die Weltgesundheitsorganisation definiert auch Fruchtsaftkonzentrate als zugesetzten Zucker, dessen Konsum reduziert werden sollte.
Die Reihenfolge der Zutaten auf der Verpackung folgt gesetzlichen Vorgaben: Die Zutat mit dem höchsten Anteil steht an erster Stelle. Bei vielen Produkten stehen Tomaten oder Tomatenmark an erster Stelle – gefolgt von Zucker oder zuckerhaltigen Substanzen auf Platz zwei oder drei. Werden verschiedene Zuckerarten verwendet, erscheint jede einzelne weiter hinten in der Liste. Die Gesamtzuckermenge wird dadurch optisch relativiert, obwohl sie in der Summe erheblich sein kann.
Besonders problematisch: Spezielle Kinderprodukte
Eine Untersuchung der Verbraucherorganisation Foodwatch brachte eine besonders fragwürdige Praxis ans Licht: Manche Hersteller bieten speziell für Kinder beworbene Tomatensaucen an, die deutlich mehr Zucker enthalten als ihre Standardprodukte für Erwachsene. Ein dokumentierter Fall zeigt eine Kindervariante mit doppelt so hohem Zuckergehalt wie die Erwachsenenversion desselben Herstellers.
Diese Produkte werden mit kindgerechten Verpackungen, lustigen Namen und dem Versprechen besonderer Eignung für die Kleinen vermarktet. Eltern, die darauf achten, Süßigkeiten zu begrenzen, übersehen dabei möglicherweise diese versteckte Zuckerquelle. Gerade Kinder greifen oft reichlich zu, wenn das rote Würzmittel auf dem Tisch steht – und nehmen so unbemerkt erhebliche Zuckermengen auf. Die süße Note macht Ketchup für Kinder besonders attraktiv und fördert gleichzeitig die Vorliebe für intensiv gesüßte Lebensmittel.

Marketingstrategien, die vom Zuckergehalt ablenken
Die Kommunikation rund um das Produkt konzentriert sich gezielt auf andere Aspekte. Werbekampagnen zeigen glückliche Familien beim gemeinsamen Essen, betonen die „Natürlichkeit“ der Zutaten oder heben hervor, dass keine künstlichen Farbstoffe verwendet werden. All diese Botschaften sind nicht falsch – aber sie lenken geschickt von der Hauptproblematik ab.
Ein weiterer beliebter Ansatz ist die Betonung einzelner positiver Eigenschaften: „Fettfrei“ oder „ohne Konservierungsstoffe“ prangt auf manchen Verpackungen. Für viele Verbraucher klingen diese Aussagen nach einem gesunden Produkt. Dass der hohe Zuckergehalt gesundheitlich deutlich bedenklicher sein kann als ein geringer Fettanteil, wird dabei nicht kommuniziert. Manche Hersteller schmücken sich zudem mit Qualitätssiegeln oder Auszeichnungen, die Vertrauen schaffen sollen. Diese beziehen sich jedoch oft auf Teilaspekte wie Herkunft, Anbaumethoden oder Geschmack – nicht aber auf die ernährungsphysiologische Gesamtbewertung.
Gesundheitliche Konsequenzen unterschätzt
Der regelmäßige Konsum zuckerhaltiger Würzmittel wird in seiner Wirkung oft unterschätzt. Während die meisten Menschen darauf achten, nicht zu viel Süßigkeiten oder Limonade zu konsumieren, fliegt Ketchup unter dem Radar. Es wird nicht als Zuckerquelle wahrgenommen, sondern als harmlose Ergänzung zum Essen.
Dabei summieren sich die Mengen: Wer täglich oder mehrmals wöchentlich zugreift, nimmt über das Jahr verteilt mehrere Kilogramm Zucker zusätzlich auf – ohne es zu bemerken oder zu beabsichtigen. Dies kann zu Gewichtszunahme, erhöhtem Kariesrisiko und langfristig zu Stoffwechselproblemen beitragen. Besonders tückisch ist, dass die Geschmacksnerven sich an die intensive Süße gewöhnen und natürliche, weniger gesüßte Lebensmittel zunehmend fade erscheinen.
Was Verbraucher tun können
Aufklärung ist der erste Schritt zu bewussteren Kaufentscheidungen. Wer die Nährwerttabelle aufmerksam liest, kann zuckerreduzierte Alternativen identifizieren. Tatsächlich gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Produkten: Untersuchungen zeigen, dass manche Tomatensaucen mit nur knapp 3 Gramm Zucker pro 100 Gramm auskommen, während andere fast viermal so viel enthalten.
Eine überraschend einfache Option ist die Herstellung zu Hause. Mit passierten Tomaten, Tomatenmark, Essig und Gewürzen lässt sich in kurzer Zeit eine Alternative herstellen, bei der der Zuckergehalt selbst bestimmt werden kann. Viele stellen fest, dass deutlich weniger Süße nötig ist als in gekauften Produkten enthalten. Selbst beim Kauf konventioneller Produkte kann die Menge einen Unterschied machen. Statt großzügig zu dosieren, reicht oft ein kleiner Klecks für den Geschmack.
Der kritische Blick hinter die Werbefassade
Die Lebensmittelindustrie arbeitet mit ausgefeilten Marketingkonzepten, die Emotionen ansprechen und positive Assoziationen wecken. Das ist legitim und gehört zum Geschäft. Problematisch wird es, wenn dabei gesundheitlich relevante Informationen in den Hintergrund treten oder durch geschickte Kommunikation verschleiert werden.
Verbraucher sind gut beraten, Werbeversprechen kritisch zu hinterfragen und sich nicht von appetitlichen Bildern oder wohlklingenden Formulierungen blenden zu lassen. Die wichtigsten Informationen stehen in der Nährwerttabelle und in der Zutatenliste – auch wenn deren Lektüre weniger vergnüglich ist als die Betrachtung von Hochglanzfotos. Besonders bei Produkten, die sich mit ihrer Natürlichkeit brüsten, lohnt sich der Vergleich mit Konkurrenzprodukten oder sogar mit selbstgemachten Alternativen.
Ketchup illustriert exemplarisch, wie Produkte durch geschicktes Marketing ein Gesundheitsimage erhalten können, das bei genauer Betrachtung nicht haltbar ist. Besonders fragwürdig wird dies bei speziellen Kinderprodukten mit erhöhtem Zuckergehalt. Wer informiert einkauft und die Nährwertangaben vergleicht, kann bewusstere Entscheidungen treffen und muss nicht auf Geschmack verzichten – aber eben mit klarer Kenntnis darüber, was tatsächlich in der Flasche steckt.
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